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Brasilien: Auf dem Weg zur Automatisierung

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01.05.2014   |   Brasilien

  • Viele Bewohner Brasiliens haben in den letzten Jahren den Aufstieg aus den Armenvierteln in bessere Gegenden geschafft. Und sie alle wollen Möbel - die Inlandsnachfrage ist der größte Treiber für die brasilianische Ökonomie
  • Vor der Umstellung glich die Produktion dieses Küchenmöbel-Herstellers eher einer Schreinerei mit viel Handarbeit
  • Die Produktion nach der Umstellung: Erhöhte Rollenbahnen ermöglichen einfacheres, ergonomischeres Arbeiten.
  • Durch die Umstellung der Produktion wird auch der Materialtransport vereinfacht

Ein Artikel des Fachmagazins HK, Ausgabe 3 / 2014, www.hk-magazin.com

 

Karneval, Samba, Copacabana – im Vorfeld der Fußball-WM gibt sich Brasilien vor allem lebensfroh. Dabei wird im größten Land Südamerikas auch fleißig gearbeitet. In den vergangenen Jahren hat der Zukunftsmarkt einen gewaltigen Aufschwung hingelegt. Davon profitiert die Möbelindustrie, die dank der jungen, konsumfreudigen Bevölkerung gute Geschäfte macht. Wachstum bedeutet aber auch Modernisierung. Im neunten Teil der HK-Serie „Länderreport“ beschreibt Volker Jahnel, Geschäftsführer von Schuler Consulting, wie in der brasilianischen Möbelindustrie die Automatisierung Einzug hält. 

Brasilien hat viele Gesichter

Die Sinnlichkeit Rio de Janeiros, der Beton gewordene Traum von Modernität in der Hauptstadt Brasilia, die Magie Salvadors, die atemberaubende Dynamik Sao Paulos, das undurchdringliche Grün Amazoniens, die europäische Tradition des Südens – und überall das strahlende Lächeln seiner Menschen. Der fünftgrößte Staat der Erde ist ein Land der Superlative und der Kontraste. Mit mehr als 8,5 Mio. Quadratkilometern und 192 Mio. Einwohnern bedeckt das Riesenland fast die Hälfte der Fläche Südamerikas. Es umfasst die fast menschenleeren Regenwälder des Nordwestens genauso wie die größte Metropole der südlichen Hemisphäre: Sao Paulo. Vor allem aber überwältigt Brasilien durch seine überschwängliche Natur, die Mischung der Kulturen und den Karneval.

Der erste Eindruck von diesem Land ist der einer verwirrenden Üppigkeit. Hier hat die Natur in einer einmaligen Laune von Verschwendung alles auf einen Raum gedrückt, was sie sonst auf mehrere Länder verteilt, schrieb der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig vor rund 70 Jahren in seinem Buch „Brasilien, Land der Zukunft“. Brasilien hat alles im Überfluss. So viel Fläche, dass beinahe ganz Europa hineinpasst, rund 8 000 km Küste, das größte Regenwaldgebiet, den wasserreichsten Fluss der Erde, stellenweise so viele Tier- und Pflanzenarten auf einem Hektar wie in ganz Europa zusammen. Dazu reiche Bodenschätze und fruchtbares Land, das Brasilien zu einem der wichtigsten Exporteure von Agrarprodukten weltweit macht. Dementsprechend blickt das Land auf eine lange Boomphase zurück. Ende Dezember 2011 überraschte die Pressemeldung, dass Brasilien Großbritannien als sechsgrößte Volkswirtschaft der Welt überholt hat und auch das fünftplatzierte Frankreich bald hinter sich lassen will. Größer sind dann nur noch die USA, China, Japan und Deutschland. Brasilien zählt schon seit Jahren zu den Ländern, die sich wirtschaftlich am schnellsten entwickeln. In jüngster Zeit hat die Entwicklung jedoch einen kleinen Dämpfer bekommen. Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) waren lange Zeit die Shootingstars der Weltwirtschaft. Doch nun schwächeln die erfolgsverwöhnten Schwellenländer. In Brasilien ist die Wirtschaft im vergangenen Jahr „nur“ um 3,5 Prozent gewachsen. Das ist etwa die Hälfte des Tempos des Jahres 2010. Es bleibt abzuwarten, ob die Brasilianer diese Durststrecke schnell überwinden.

 

Bislang war vor allem der stabile Binnenmarkt die Stütze des Aufschwungs

Insbesondere das Konsumverhalten ist aufgrund eines erheblichen Nachholbedarfs der Bevölkerung deutlich ausgeprägt. Dabei kommt Brasilien die Altersstruktur seiner Bewohner zugute. Derzeit sind rund 60 Prozent der Brasilianer jünger als 40 Jahre und somit in einem besonders konsumfreudigen Alter. Die Wohnungseinrichtung ist dabei ein bedeutendes Thema. Brasilien verfügt über eine leistungsstarke Möbelindustrie, ist aber durchaus auch offen für interessante Importwaren. Im Handel existieren sämtliche Vertriebswege: vom Fachhandel über das Junge Wohnen, den Möbeldiscount, den Direktverkauf bis zum E-Commerce.

Die Zeiten billiger Arbeitskräfte sind für die Möbelproduzenten indes langsam vorbei. Die Arbeitslosenquote ist trotz einiger Schwierigkeiten zuletzt noch immer relativ niedrig geblieben. Daher setzen die Möbelhersteller zunehmend auf Automatisierung. Immer mehr Unternehmen treten an Schuler Consulting heran, um zu erfahren, wie man seine Fabrik in dieser Hinsicht optimieren kann.

Ein hoher Automatisierungsgrad setzt einen perfekten Informationsfluss voraus. Gerade in diesem Bereich gibt es in Brasilien einen großen Nachholbedarf. Schuler Consulting kann hier auf seine langjährige Erfahrung zurückgreifen, um Firmen auf diesem Weg sicher zu beraten und bei der Einführung unterschiedlichster Softwarelösungen zu begleiten.

Obwohl Unternehmen zur Möbelherstellung in ganz Brasilien zu finden sind, konzentrieren sie sich stark im Süden und Südosten, wo sich etwa 80 Prozent der gesamten Möbelindustrie versammeln. Rund elf Prozent befinden sich in der Region im Nordosten und die restlichen neun Prozent sind in den Regionen Norden und westliches Zentrum verteilt. Rund 84 Prozent der Unternehmen produzieren Möbel aus Holz, neun Prozent stellt Möbel aus Metall her, vier Prozent Polstermobel und nur ein Prozent andere Möbel, beispielsweise aus Plastik oder Rattan. Die Hersteller von Matratzen machen zwei Prozent der Gesamtzahl der Unternehmen aus. Mehr als 76 Prozent der Möbelhersteller fertigen in Serie, acht Prozent produzieren Modular-Möbel, neun Prozent Einbaumöbel und sechs Prozent Designmöbel.

Die Zahl der Mitarbeiter im Möbelsektor ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Nicht weniger als 86,6 Prozent der Arbeitskräfte sind in der Produktion beschäftigt. Weitere 11,6 Prozent arbeiten in der Verwaltung und nur 1,6 Prozent im Handel. Um die eigenen Händler zu unterstützen, sind für die Möbelhersteller rund 15 600 unabhängige Handelsvertreter unterwegs – eine Zahl, die ständig wächst.

 

Ein Projekt, das Schuler Consulting gerade betreut, zeigt beispielhaft den derzeitigen Entwicklungsstand in der brasilianischen Möbelindustrie

Rechtzeitig vor der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer modernisiert ein namhaftes Unternehmen im Süden Brasiliens seine Fabrik. Es handelt sich um einen Ladenbauer, der auch Industriekühlschränke herstellt. Die Firma ist an Schuler Consulting herangetreten, um ihre Produktion besser zu organisieren und zu modernisieren. Bisher glich ihre Möbelfertigung eher einer großen Schreinerei mit Kleinmaschinen als einem Industriebetrieb.

Besonders auffällig waren dabei die komplexen Konstruktionsprinzipien der Produkte und die sehr aufwändige Art und Weise, wie die Möbel produziert und vor allem montiert wurden. Bevor wir mit der eigentlichen Sanierung beginnen konnten, mussten wir also die Produkte standardisieren, damit man die Fertigung automatisieren und in der Montage eine Montagelinie mit einem Zwangsablauf aufbauen konnte.

Die Standardisierung haben wir direkt in einem CAD/CAM-System vorgenommen, in dem alle Konstruktionsprinzipien zuvor definiert wurden. Dadurch wurde ein technischer Produktkatalog von allen Möbeln parametrisiert angelegt. Der Vorteil der Parametrisierung ist, dass man nach der Stücklistenauflösung eine automatisch generierte Zuschnittliste bekommt. Diese wird dann an ein Optimierungsprogramm übergeben, das CNC-Daten, Teilezeichnungen und Produktionslisten bereitstellt. Weil in dem CAD/CAM-System auch die Einkaufsteile und Maschinendaten verwaltet werden, ist auch die für einen Ladenbauer sehr wichtige klassische Vorkalkulation möglich.

Nach der Standardisierung machten wir uns an die Kapazität- und Mengenanalyse, mit der wir alle Prozesse für einen zukünftigen automatisierten Arbeitsablauf simulieren konnten. Bei der Analyse überließen wir nichts dem Zufall, alle Prozesse wurden mit den exakten Echtdaten simuliert.

Bei der Organisation gingen wir von einer tagesbezogenen Fertigung vom Zuschnitt bis in den Versand aus. Ein Batch entspricht also immer genau einer Tagesproduktion. Mit diesem Fertigungspulk konnte nun eine Zuschnittoptimierung simuliert werden, um die richtige Plattenaufteilsäge auszuwählen. In einer Losgröße-Eins-Fertigung ist es wichtig, die Zuschnittdaten mit unterschiedlichen Modellen und Typen von Plattenaufteilsägen zu simulieren, um die Kapazität der unterschiedlichen Maschinen zu ermitteln. Abhängig von den Optimierungsergebnissen kann man dann die Resultate auswerten, um sich auf der Grundlage gesicherter Daten für eine Säge zu entscheiden.

Eine Integration in ein automatisches Plattenlager wurde ebenfalls berücksichtigt. Für alle restlichen Prozesse wurden dann ebenfalls die Kapazitäten ermittelt und die Maschinen mit den dazugehörigen technischen Daten definiert.

Nach dieser Mengen- und Kapazitätsanalyse konnte dann mit der eigentlichen Planung begonnen werden. Noch bevor diese abgeschlossen war, bestellte der Kunde bereits die Maschinen und Anlagen, die nach Anlieferung dann auch sofort nach unserem Layout sachgemäß aufgebaut wurde. Selten haben wir eine Firma erlebt, die so schnell eine Planung in die Tat umgesetzt hat und so schnelle Entscheidungen getroffen hat.

Die Rollenbahnen in der Fertigung wurden höher gelegt als das normalerweise der Fall ist. Da bei einer Batchsize-Eins-Fertigung die Mischstapel in der Produktion nicht so hoch sind, kann man das ohne weiteres wagen. Die Ergebnisse sind sensationell, denn die höher gelegten Rollenbahnen erlauben ein sehr ergonomisches und bequemes Arbeiten an jedem Arbeitsplatz. Auch der Materialtransport wird dadurch ergonomischer.

Jedes Teil ist mit einem eindeutigen Barcode versehen (unique Barcode ID). So lässt sich ein Teil an jedem Arbeitsplatz verfolgen. Die Rückmeldung an den Maschinen erfolgt vollautomatisch, ohne manuelles Scannen. Die Zuschnittsäge schreibt von jedem zugeschnittenem Teil einen Datensatz in einer Holdatei zurück. Diese Holdatei wird zyklisch ausgelesen, um die Fertigungsaufträge automatisch zurückzumelden. Das gleiche kann man an allen anderen modernen Maschinen realisieren.

Wichtig dabei ist, dass die Anforderungen im Vorfeld mit den Maschinenherstellern besprochen wird, bevor die Maschinen gekauft und ausgeliefert werden. Der große Vorteil ist, dass man eine automatische Rückmeldung aller Fertigungsaufträge in den Fertigungsleitrechner bekommt, ohne jedes Bauteil an jeder Maschine manuell einscannen zu müssen. Diese Fertigungskontrolle ist vor allem bei einer Batchsize-Eins-Fertigung sehr wichtig, da jedes Bauteil einem Kundenauftrag zugeordnet ist und die Teile nicht auf Lager liegen. Wenn also ein Teil verloren geht, muss es sofort nachgefertigt werden.

Alle Arbeitsplätze und Transportmittel wurden auf die Bedürfnisse des Kunden angepasst. Auch die Organisation in Verbindung mit einem ERP-System wurde festgelegt. Die Prozesse für Auftragsabwicklung, Einkauf, Materialdisposition, Produktionsplanung wurden definiert und erfolgreich in dem aktuellen ERP-System realisiert. Das Schöne bei diesem Projekt war, dass unsere Ideen sofort in die Tat umgesetzt wurden. Schuler Consulting wird dieses Projekt bis Ende des Jahres 2015 begleiten um die Fertigung zu optimieren und die Produktivität kontinuierlich zu verbessern.

 

 

Autor: Volker Jahnel

Der Autor ist Geschäftsführer von Schuler Consulting und für die Märkte in Südamerika, Spanien und Portugal zuständig.

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