Holzbau in Estland und den USA
Man kann sich nur schwer zwei Länder vorstellen, in denen die Rolle des Holzbaus weiter divergiert als in Estland und den USA: Hier hat er im eigenen Land eine marginale Bedeutung, dort einen Marktanteil von fast 100 Prozent, hier orientiert man sich in Richtung Export, dort an der schier unerschöpflich erscheinenden Nachfrage im Inland. Trotzdem kämpfen Welement AS in Estland und Blueprint Robotics Inc. in den USA mit ganz ähnlichen Problemen. Der Grund: Beide sind Pioniere, die auf ihrem Gebiet quasi bei Null anfangen.
Estland: Alles auf Anfang
Wollte man Estland mit einem Adjektiv charakterisieren, wäre "überschaubar" vielleicht eine gute Wahl: 1,3 Mio. Einwohner teilen sich hier im Norden des Baltikums eine Fläche von rund 45000 m2. Auch die Märkte für einheimische Industrieunternehmen sind "überschaubar", aber die Seewege nach Finnland, Schweden und von dort aus weiter nach Norwegen sind kurz. Auf dieser Basis hat sich in vielen Sparten ein reger Export nach Skandinavien entwickelt. Weitere Exportmärkte könnten für das Land durch seine Mitgliedschaft in der EU und - seit 2011 - in der Eurozone entstehen. Angesichts einer geringen Bautätigkeit im eigenen Land setzt auch die Bauwirtschaft einen Schwerpunkt auf den Export. Zu den Vorreitern im Holzbau gehören hier Unternehmen wie Matek, Timbeco, Harmet und Kodumaja, deren Namen auch international einen guten Klang haben. Ihnen ist es zu verdanken, dass der estnische Holzbau einen Spitzenplatz unter den europäischen Holzbauproduzenten erreicht - obwohl in Estland selbst fast ausschließlich massiv gebaut wird. Zu diesen Massivbauern gehört zum Beispiel die Rand & Tuulberg Gruppe, die in der Immobilienentwicklung und im Bau von Großobjekten aktiv ist. Über ihre Tochter Muuga Betoonelement wickelt auch sie gut 60 Prozent ihrer Projekte in Skandinavien ab.
Neue Holzbaufirma mit moderner Fertigung
2016 ist auch Rand & Tuulberg in den Holzbau eingestiegen. Und das in großem Maßstab, stattete die Gruppe doch das zu diesem Zweck gegründeten Tochterunternehmen Welement AS mit einer WEINMANN WBZ 160 Abbundanlage und zwei automatisierte Produktionslinien mit sieben Arbeitstischen und zwei WEINMANN Multifunktionsbrücken aus. - Im estnischen Holzbau, wo fast ausschließlich manuell gefertigt wird, ein absolutes Novum und ein klares Alleinstellungsmerkmal. Fertigungslinie eins besteht aus vier Tischen plus einer WEINMANN WMS 150 und ist auf die Fertigung von Außenwandelementen spezialisiert. Die zweite Linie ist eine WEINMANN Kompaktanlage, auf der man dank ihrer hohen Flexibilität Wand-, Dach-, Decken- und Sonderelemente produzieren kann. Die Kapazität des neuen Werks in der zweitgrößten estnischen Stadt Tartu liegt momentan bei ca. 100-130, nach einer für später ins Auge gefassten Erweiterung mit einer Riegelwerkstation oder zusätzlichen Arbeitstischen bei ca. 200 Holzhäusern im Jahr.
Mehrere Standbeine für das junge Unternehmen
In punkto Absatzmärkte orientiert man sich in Tartu fürs erste nach Skandinavien. So hat man seit Inbetriebnahme des neuen Werks ein dreigeschossiges Reihenhaus mit insgesamt 600 m2 Wohnfläche nach Oslo geliefert, vier Privathäuser werden demnächst folgen. Nach Finnland gingen drei eingeschossige Gebäude mit jeweils vier Wohnungen plus Parkgebäude, nach Schweden Fassadenelemente für ein Hybridgebäude. In Estland war Welement AS am Bau eines mehrgeschossigen Wohngebäudes für die eigene Gruppe beteiligt, auch zu diesem Hybridgebäude lieferte man die Außenwandelemente. Der Hybridbau ist ein Geschäftsfeld, in dem Geschäftsführer Lauri Tuulberg eine der Chancen für das junge Holzbauunternehmen sieht: "Die Kombination von Holz und Beton bietet im Mehrgeschossbau besondere Vorteile, weil sie die spezifischen Stärken beider Baustoffe nutzt und so zu optimalen Ergebnissen führt. Wir bieten Bauherren eine kurze Bauzeit, eine hohe Terminsicherheit und darüber hinaus einen besseren Energiestandard - Vorteile, die auf lange Sicht auch in Estland überzeugen werden." Allerdings steckt man im eigenen Land auch beim Hybridbau noch in den Kinderschuhen, weshalb man beim ersten Projekt einen Großteil des Zeitgewinns wieder durch Nacharbeiten verlor. Langfristig setzt Lauri Tuulberg auf die Gebäuderichtlinie der EU von 2010: "Dies wird der Anfang einer energetischen und ökologischen Wende sein, in deren Verlauf Holz auch in Estland an Bedeutung gewinnt. " Bis es so weit ist, bieten die sicheren Exportmärkte in Skandinavien seinem Unternehmen ein gutes Wachstumspotential, ist doch das Bauen mit vorgefertigten Holzelementen hier fest etabliert. - Auch deshalb, weil Arbeit in Skandinavien etwa um den Faktor 5-6 teurer ist als in Estland. Deshalb strebt man in Tartu unter anderem eine Partnerschaft mit inländischen Holzbaufirmen an, die schon seit Jahrzehnten ihre manuell gefertigten Holzbauteile nach Skandinavien exportieren. Ihnen könnte man künftig maschinell gefertigte Elemente in hoher Qualität zuliefern. Als weiteres Standbein für Welement AS entwickelt Lauri Tuulberg in Zusammenarbeit mit einigen Architekten ein Bausystem für Einfamilienhäuser, das er etwa in 6 Monaten auf dem Markt etablieren will.
Maschinenkenntnisse im Holzbau Mangelware
Ganz oben auf der Liste der Schwierigkeiten, mit denen man in Tartu zu kämpfen hat, steht das Personalproblem. Gut ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter sind in Estland schwer zu finden - Zimmerleute mit Maschinenausbildung sucht man in der Regel vergebens. Deshalb sind zwei der 15 Mitarbeiter in der Produktion Metallbauer mit CNC-Kenntnissen. "Sie stammen zwar aus einer anderen Branche, haben aber schon das richtige Denken, das man für eine vollautomatische Elementfertigung braucht." Auch in der Arbeitsvorbereitung gab es einiges zu tun. "Schließlich sind wir die ersten in Estland, dies das weit verbreitete hsb cad zur Planung von Holzrahmenelementen einsetzen. In diesem Bereich haben wir praktisch bei Null angefangen."
Nach drei bis vier Jahren schwarze Zahlen
Entsprechend überrascht war Lauri Tuulberg, wie schnell sein Unterrnehmen die neuen Maschinen einsetzen konnte: "Das Team war nach etwa zwei Wochen so weit, dass es die Produktion aufnehmen konnte." Dabei half natürlich auch die Schulung durch WEINMANN, die man mangels durchgängiger Auslastung in mehreren Etappen in Anspruch genommen hatte. Und eine geschickte Personalwahl: "Wir haben vor allem auf ein junges Team gesetzt, bei dem der Umgang mit Tablet und Computer Alltagsroutine war", erläutert Lauri Tuulberg. "Außerdem waren diese Mitarbeiter so motiviert, dass sie sich sehr schnell eigene Gedanken machten, wie wir Produktionsschritte optimieren und die Technik effizienter einsetzen könnten." So verging ein Jahr des Lernens, das der Geschäftsleitung vom Welement AS jede Menge neue Erkenntnisse brachte. Ihm soll ein Jahr der Expansion folgen, bis das Werk in Tartu ein oder zwei Jahre später rentabel laufen soll. Für einen langen Atem auf diesem anfangs steinigen Weg wird die starke Muttergesellschaft sorgen.
USA: Bei Null angefangen
Auch wenn sich der Marktanteil des Holzbaus in den USA in vielen Bereichen nur knapp unter 100 Prozent bewegt, betrat die Blueprint Robotics Inc. in Baltimore weitgehend Neuland. Denn das Unternehmen verwendet als erstes auf dem amerikanischen Markt eine moderne, automatisierte Produktionstechnologie mit hohem Vorfertigungsgrad für geschlossene Elemente, wie sie im deutschsprachigen Holzbaumarkt großenteils Standard ist.In den USA fertigt man Ein- und Mehrfamilienhäuser aus Holz in der Tradition des "Platform frame" nach wie vor weitgehend manuell mit geringem Vorfertigungsgrad - selbst dann, wenn die Produktion in Fabriken verlagert ist. Dies trotz chronischen Personalmangels, hoher Löhne und einer seit der Krise wieder stetig steigenden Nachfrage.
Hoher Vorfertigungsgrad als Problemlöser
2015 gegründet, bestand Blueprint Robotics Inc. anfangs aus drei Gründern, einem Investor, einem Computer und einer Idee. Letztere sah vor, Bauherren in den USA moderne, mit europäischen Produktionsmethoden gefertigte Holzrahmenelemente in hohem Vorfertigungsgrad anzubieten. Mitgründer Sascha Bopp: "Unsere Marktstudie hatte ergeben, dass wir damit gleich mehrere Probleme der Bauherren lösen, etwa den Personalmangel im Baubereich, lange Bauzeiten oder ausufernde Kosten." Wobei "Bauherren" in den USA meistens keine privaten Endverbraucher sind, sondern professionelle "Builder", die Immobilien nach Marktgesichtspunkten entwickeln, bauen und dann an den Endkunden verkaufen.Für diese Klientel entwickelte das junge Unternehmen ein passgenaues Konzept mit hohem Vorfertigungsgrad, garantiertem Fertigstellungstermin und Festpreis. Außerdem garantiert die präzise maschinelle Vorfertigung einen gleichbleibend hohen Qualitätsstandard: "Damit werden unsere Elemente für den Builder günstiger, weil er deutlich weniger Risiken hat."
Moderne Fertigung mit deutscher Technik
Im nächsten Schritt baute Blueprint Robotic Inc. eine 20000 m2 große Fertigungshalle in Baltimore. Diese Halle stattete das Unternehmen mit Fertigungslinien von WEINMANN aus. "Zum einen kann der Maschinenbauer aus Lonsingen mit seinem breiten Spektrum an Bearbeitungsmaschinen unseren Bedarf komplett abdecken", erläutert Sascha Bopp. "Dann kann dieses Unternehmen die Montage seiner Maschinen durch weltweit eingesetzte Teams auch in den USA gewährleisten. Außerdem hat es gute Referenzen: Wir haben mehrere Unternehmen in Deutschland angesprochen - alle haben uns WEINMANN als Premium-Hersteller empfohlen." Nicht zu vergessen: "Die Verhandlungen haben wir mit WEINMANN-Geschäftsführer Hansbert Ott geführt, und der erwies sich als integrer und vertrauenswürdiger Gesprächspartner. Das ist von großer Bedeutung, wenn es um so große räumliche Distanzen geht und so viel Geld im Spiel ist."Dass es hier um respektable Summen ging, zeigt die Ausstattung der Fertigungshalle. Sie besteht aus drei automatisierten Fertigungslinien, wobei die Wandfertigung mit Riegelwerkstation, 8 weitere Stationen und drei WMS 150 Multifunktionsbrücken die größte ist. Hinzu kommen eine Dach- und eine Deckenlinie mit mehreren Arbeitstischen und zwei WMS 150 Multifunktionsbrücken.
Automatisches Einblasen von Zellulose
Zu den Besonderheiten des Werks in Baltimore gehört eine der Multifunktionsbrücken: die weltweit erste WEINMANN WMS 150 blowTEC mit integrierter Einblasplatte. Sie erlaubt es dem Unternehmen, vollautomatisch, rationell und mit abschließender Sichtkontrolle am offenen Element lose Dämmstoffe in ihre Holzrahmenkonstruktionen einzublasen. Als Dämmstoff kommt ausschließlich Zellulose zum Einsatz. Sascha Bopp: "Wir wussten nicht, wie die Amerikaner diesen Dämmstoff aufnehmen würden, aber bis jetzt will ihn jeder Kunde, der den Einblasvorgang gesehen hat." Als Vorteil winken ihm eine ökologische Dämmung und bessere Dämmwerte als bei den in den USA typischen Wandkonstruktionen. Den Eindruck einer höheren Qualität vermitteln maßgenau gefräste Holzverbindungen und präzise ausgeführte Details. Diese Unterschiede kommen auch bei Kunden an: "Wenn sie zu uns kommen und sehen, wie wir produzieren, heißt es dann oft: Was ihr da macht, können wir manuell nicht."Essenziell für die Kunden ist außerdem, dass ihre Häuser "fully customised", also als maßgeschneiderte Komplettleistung, auf der Baustelle montiert werden. Dementsprechend flexibel muss die Produktionsanlage in Baltimore sein. Dabei ist "komplett" nicht mit "schlüsselfertig" zu verwechseln. Blueprint Robotics liefert in der Regel wasserdichte Rohbauten, Fassaden und Innenausbau sind Sache der Builder.
Marketingbudget auf Null gestrichen
Im Mai 2016 bezogen, ist das Werk in Baltimore seit November des gleichen Jahres in Betrieb. Die Inbetriebnahme verlief weitgehend reibungslos. "Allerdings ist es dann doch nicht so einfach, wie wir anfangs dachten", erläutert Sascha Bopp: "Bevor man produzieren kann, muss man eine ganze Menge lernen. Aber die Anlage läuft so gut, dass uns durch sie keine Wachstumsschmerzen entstehen."Auch die Nachfrage liefert keinen Anlass zur Klage. Sehr schnell überstieg sie die anfangs möglichen Kapazitäten der neuen Firma bei weitem: "Wir müssen nicht die Kunden finden, die Kunden finden uns", fasst Sascha Bopp prägnant zusammen, warum man das Marketingbudget nach einigen Monaten auf Null zusammengestrichen hat.So kommt es, das Blueprint Robotics knapp ein Jahr nach der Gründung bereits volle Auftragsbücher hat, wobei sich das Unternehmen vorerst auf Einfamilienhäuser und Reihenhausanlagen beschränkt. Später will man in Baltimore auch in den Geschosswohnungsbau einsteigen - wenn man die Kapazitäten der Fertigungsanlage besser ausschöpfen kann.
Größtes Problem: kein geschultes Personal
Genau hier liegen die Gründe für die "Wachstumsschmerzen" des jungen Unternehmens. Sie kreisen großenteils um die Frage: "Lernen wir schnell genug, um unser Potential auch umsetzen zu können?" Derzeit kämpft man noch mit "Nadelöhren auf allen Ebenen". Und die lassen sich nicht so einfach beseitigen, denn ihre Ursache ist der Mangel an geschultem Personal.Das beginnt schon in der Arbeitsvorbereitung: "Da es in den USA niemanden mit einer vergleichbaren Arbeitsvorbereitung gibt, ist es für uns schwierig, Mitarbeiter mit CAD-Kenntnissen im Holzbau zu finden." Fürs erste unterhält man deshalb eine Dependance im bayerischen Kolbermoor: Dort verstärken erfahrene Holzbauingenieure und angehende Holzbauingenieure der Hochschule Rosenheim die Arbeitsvorbereitung für Projekte in den USA.Langwieriger gestaltet sich die Lösung in Produktion und Montage, wo derzeit gut 70 der 110 Blueprint Robotics-Mitarbeiter beschäftigt sind. "Hier haben wir das Problem, dass wir praktisch bei Null anfangen. Für unsere Mitarbeiter und für das Unternehmen bedeutet das einen langen Lernprozess. Ziel muss es sein, operative Effizienz zu entwickeln und die Kapazität unserer Fertigungsanlagen voll auszuschöpfen." Danach ist es für Sascha Bopp nur eine Frage der Zeit, bis die Blueprint Robotics Inc. ihr nächstes Werk bauen und damit ihre Fähigkeiten multiplizieren wird. Der Markt in den USA bietet dafür reichlich Potential, und vergleichbare Wettbewerber sind derzeit nicht in Sicht.
„WEINMANN kann mit seinen Bearbeitungsmaschinen unseren Bedarf komplett abdecken.“Sascha Bopp, Geschäftsführer von Blueprint Robotics Inc.