Ein Artikel des Fachmagazins BM, Mai / 2017. Hier lesen Sie den Artikel auf BM-Online.
Berthold Mayer hat sehr intensive Jahre hinter – und vermutlich auch noch vor sich. Das wird beim Werkstattbesuch in Bad Säckingen an der Schweizer Grenze und im ausführlichen Gespräch mit dem sympathischen und umtriebigen Schreinermeister schnell deutlich.
Heute beschäftigt Mayer elf Mitarbeiter, doch das war nicht immer so. „Die ersten Jahre meiner Selbstständigkeit war ich Einzelkämpfer. Im Jahr 2008 habe ich mir dann sogar ernsthaft die Frage gestellt, ob ich aufhören oder aber so richtig durchstarten soll“, erinnert er sich schmunzelnd. Und ja, er hat die Zähne zusammen gebissen und Gas gegeben. Sein klarer Fokus: Den Betrieb zum leistungsstarken Fertigungsspezialisten und gleichermaßen zuverlässigen wie hochflexiblen Zulieferpartner für Schreinerkollegen zu machen.
Gesagt, getan: „Dann habe ich eine liegende Plattensäge, Kantenanleimmaschine und CNC angeschafft und mit einem einfach zu bedienenden Möbelkonfigurator meine ersten Gehversuche im Softwarebereich gemacht. Das klappte auch gut – obwohl ich bis dahin ein echter EDV-Laie war.“ Freie Tage kannte Mayer zu dieser Zeit allerdings nicht: Sonntags hat er im Büro geplant und konstruiert, was das Zeug hält – und von Montag bis Samstag dann in der Werkstatt produziert. „Ohne das große Verständnis und die tolle Unterstützung meiner Frau hätte ich das alles nicht realisieren können“, beschreibt er diese Zeit und man merkt, dass die beiden ein richtig gutes Team sind.
Flexibler Partner für Schreinerkollegen
Sein Konzept, davon ist er überzeugt, hat Zukunft und wird die Branche künftig noch stärker prägen als bislang: „Die Schreinereien werden immer kleiner und können nicht sämtliche Maschinen für alle Fertigungsaufgaben vorhalten. Für sie sind wir eine zuverlässige und schlagkräftige verlängerte Werkbank.“ Und ergänzt: „Die junge Generation ist sehr offen für die Kooperation mit Spezialisten wie wir es sind. Natürlich müssen wir uns bei den Kollegen immer durch Termintreue und beste Schreinerqualität beweisen. Und selbstverständlich muss auch immer mal ein Schnellschuss drin sein.“ Das alles beherrschen Berthold Mayer und seine inzwischen elf Kollegen in der AV und Produktion. Hinzu kommt Kundennähe, denn Mayer beschränkt sich auf einen Aktionsradius von ca. 100 km um Bad Säckingen. Auch diverse Schreinerkollegen in der Schweiz wissen die ausgeprägte Kompetenz des Zulieferspezialisten inzwischen sehr zu schätzen und sind zu treuen Stammkunden geworden.
Das Produktspektrum umfasst Zuschnitte mit und ohne Bekantung, fertig konfektionierte Möbel und Korpusse (auch Dachschrägen), 5-Achs-CNC-Bearbeitung, Arbeitsplatten inklusive Eckverbindungen und Ausschnitten oder auch Fronten und Verkleidungen aus Norit-Brandschutzplatten. Berthold Mayer hat inzwischen rund 120 Kunden aus dem Schreinerhandwerk. Rund 30 davon ordern dabei sehr regelmäßig Möbel, Zulieferteile und mehr, Tendenz spürbar steigend. Ausgeliefert wird in den meisten Fällen selber. „So stellen wir sicher, dass unsere Teile auch unversehrt beim Kollegen ankommen.“
Kräftig in Software und Maschinen investiert
Die positive Entwicklung hat dazu geführt, dass Berthold Mayer weiter investiert hat, 2012 in eine Säge-Lager-Kombination (Holz-Her/Barbaric) und 2015 dann in eine neue 5-Achs-CNC, eine Nesting- sowie eine Kantenanleimmaschine (alles Holz-Her). Maschinentechnisch waren nun die Weichen gestellt, um wahlweise auf der Plattensäge oder der Nestingmaschine aufzuteilen.
Und weil die Konstruktionen immer komplexer bzw. individueller wurden und Berthold Mayer seinen Partnern perspektivisch einen leistungsstarken Onlinekonfigurator zur Verfügung stellen möchte, hat er sich ebenfalls 2015 für die Anschaffung des CAD/CAM-Systems von Imos entschieden. Zudem setzte er schon zuvor den 3D-Generator von Truncad und das Branchenprogramm von OSD ein.
Quantensprung in der Kantenbearbeitung
Doch das nächste Projekt ließ nicht lange auf sich warten. Berthold Mayer sah im Bereich der Kantenbearbeitung erhebliches Optimierungspotenzial. Konsequente Automatisierung und spürbare Effizienzsteigerung waren das, was er hier wollte. Entsprechend investierte er in eine neue Kantenanleimmaschine von HOMAG in Kombination mit einem automatischen Handlingsystem samt Rückführung von Barbaric. Das Besondere: Die Anlage arbeitet komplett mannlos und hat eine Kapazität von rund 1000 Teilen/Schicht.
Zunächst werden die Teile auf der Plattensäge oder der Nestingmaschine formatiert und aktuell noch manuell mit Barcode-Etiketten versehen (das soll demnächst automatisch bereits im Plattenlager erfolgen). Alle erforderlichen Informationen werden dann beim Einfahren in die Kantenzelle durch automatisches Scannen der Etiketten an das Handlingsystem und die HOMAG-Maschinensteuerung übergeben. Doch damit sich das in dieser Form realisieren lässt, müssen sämtliche Bearbeitungs-, Kleber-, Kantenmaterial- Informationen ebenso festgelegt werden, wie Informationen zum Abstapeln u.v.a.m.
Fertigungsleitsystem eröffnet neue Wege
Genau an dieser Stelle kamen die Experten von HOMAG Consulting & Software ins Spiel. Sie erarbeiteten ein umfassendes Datenkonzept und installierten in Absprache mit den beteiligten Softwareanbietern das Fertigungsleitsystem (FLS) ControllerMES. Mayer war bzw. ist Pilotkunde für diese neue Software, deren Anspruch es ist, Industrie 4.0 im ambitionierten Handwerk zu ermöglichen. Das FLS ist inzwischen unverzichtbare Schaltzentrale in der Softwarelandschaft bei Mayer.
Es versorgt die Zuschnitt- und Nestingoptimierung mit Daten, generiert die für den Etikettendruck und die Kantenbearbeitung erforderlichen, überaus komplexen Datensätze und vergibt eindeutige Bauteilnummern, sogenannte Unique-Part-IDs. Nur mit diesen Informationen kann solch eine vollautomatische Kantenzelle wie die bei Mayer überhaupt erst arbeiten.
Auch wenn das Projekt zunächst auf die mannlose Kantenbearbeitung fokussiert war, eröffnet das FLS natürlich auch in anderen Fertigungsbereichen künftig ganz neues Rationalisierungspotenzial. Man darf wirklich gespannt sein, was Berthold Mayer hier noch alles einfällt.
Viel geschafft und noch einiges vor
Berthold Mayer hat für sich eine klare Zukunftsstrategie definiert: „Wachstum lässt sich nicht unbedingt mit mehr Mitarbeitern, sondern durch intelligente Automatisierung und Effizienzsteigerung auf Technologieebene erreichen. Mit der Kantenzelle haben wir hier aktuell einen ersten sehr, sehr großen Schritt gemacht.“
Aber er weiß auch: Automatisierung in der Werkstatt bedeutet letztlich mehr Aufwand im Büro und deutlich höhere Anforderungen an die EDV. Unterm Strich freut er sich neben der erheblichen Effizienz- und Qualitätssteigerung in der Fertigung sehr darüber, dass sich mit dem Fertigungsleitsystem eine Zeitersparnis in der Arbeitsvorbereitung von satten 20 % ergibt.
Quelle Fotos: Fachmagazin BM / Christian Närdemann