Optimismus trotz vieler Turbulenzen
Die HK bat den USA-Experten und Senior Manager von Schuler Consulting, Florian Hauswirth, zu einem Interview und sprach mit ihm über die Folgen der Corona-Pandemie in den Vereinigten Staaten, deren Auswirkungen auf die Automatisierung und den Mega-Trend Digitalisierung, der sich jenseits des großen Teichs etwas anders darstellt als in Europa. Das Interview führte Markus Schmalz, Chefredakteur der HK.
Ein Artikel aus: HK - Archiv HK 01-2021
Herr Hauswirth, bei Schuler Consulting sind Sie Senior Manager für Beratungsprojekte in Nordamerika. Auch vor der Möbelindustrie hat die Corona-Pandemie nicht Halt gemacht. Was ist die größte Herausforderung für Sie und Ihre Kunden in dieser Zeit?
Viele Unternehmen sind durch die Pandemie einer hohen Belastung ausgesetzt: Die Unternehmen tragen Sorge für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und den Schutz ihrer Kunden, mit denen sie im direkten Kontakt stehen. Gleichzeitig müssen sie auf die wirtschaftlichen Auswirkungen reagieren. Die Märkte verändern sich: Es gilt, das Fortbestehen des eigenen Unternehmens zu gewährleisten – das ist für einige Unternehmen in der Möbelindustrie mit Unsicherheit verbunden. Hier kann man allerdings nicht pauschalisieren, denn je nach Produktionsschwerpunkt steht es anders um das Unternehmen.
Mit der Corona-Krise ging ein immenser organisatorischer und kommunikativer Aufwand einher: Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz, Informationen zu Lock-Down-Regelungen, Lieferverzögerungen, Bestimmungen für Kundenbesuche und vieles mehr – das alles muss kommuniziert und strukturiert werden. Mittlerweile sind viele Unternehmen darin geübter und die Abläufe funktionieren reibungsloser. 2020 war außerdem aus politischer Sicht ein Jahr der Um- und Aufbrüche für die USA – auch das hat unsere Kunden im vergangenen Jahr stark bewegt.
Mit welchen Maßnahmen haben Ihre Kunden in den USA und in Nordamerika auf die Corona-Krise reagiert?
Es wird häufig berichtet, dass große Teile der amerikanischen Bevölkerung die Corona-Pandemie nicht ernst nehmen würden. Ich erlebe das durchaus anders. Hygiene- und Abstandsregelungen, verpflichtender Mund-Nase-Schutz – diese und viele weitere Maßnahmen gehören hier in weiten Bereichen des öffentlichen Raums sowie in vielen Unternehmen zum Standard. In Kanada ist die Solidarität mit den Schutzmaßnahmen meiner Einschätzung nach sogar noch deutlich höher. In Großbetrieben werden systematisch administrative Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz errichtet. Dort ist das Eintreffen am Arbeitsplatz so organisiert, dass die Mitarbeiter sich nicht begegnen. In den Produktionen werden die Schichten zeitlich ausgeweitet, sodass sich weniger Leute gleichzeitig in der Fertigung aufhalten und das Ansteckungsrisiko minimiert wird. Wer im Büro arbeitet, geht vielerorts ins Home Office – ähnlich wie in Deutschland.
Wie stark waren die verschiedenen Produktionssegmente von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen?
In Nordamerika (Kanada und USA) genauso wie in Deutschland und Europa beobachten wir, dass der Verlauf der Pandemie einzelne Segmente der Möbelindustrie unterschiedlich stark betrifft. Betrachtet man das im Detail, so geht es den deutschen Unternehmen oftmals ähnlich wie den amerikanischen.
Wohn- und Polstermöbel-Hersteller genauso wie Küchenbauer merken einen überproportionalen Auftragseingang, während Büromöbel-Hersteller, insbesondere jene für Großraum-Büros, aktuell durch sehr harte Zeiten gehen. Andererseits berichtete mir einer unserer Mitarbeiter von einem kanadischen Kunden, der Einbau-Schränke produziert und aktuell in seiner Produktion gar nicht mehr nachkommt. Sein Auftragseingang hat sich durch die Pandemie verdoppelt.
Löst die Corona-Pandemie, ähnlich wie in Deutschland, einen Digitalisierungsschub in Nordamerika aus?
In Deutschland spricht man oft davon, dass die Corona-Pandemie der Digitalisierung zusätzliche Schubkraft verliehen hat. Das liegt daran, dass durch die Pandemie Digitalisierungs-Lücken sichtbar wurden, die bereits seit Jahren bestehen. Der Druck zu digitalisieren kommt hier aus der Wirtschaft. Digitalisieren ist in Deutschland für die Betriebe ein Muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
In den USA ist das tendenziell etwas anders gelagert. Hier wird das Thema häufig mit Fertigungsautomatisierung und Robotik gleichgesetzt. Dass Digitalisierung den gesamten Informationsfluss in einem Unternehmen integral abdecken kann, wird oftmals noch nicht so konsequent bedacht.
Aber auch hier gibt es einen Drang zu automatisieren. Der Druck kommt hauptsächlich vom leergefegten Arbeitsmarkt, sowie von der Landflucht und der damit einhergehenden Überalterung vor allem ländlicher Gebiete. Somit wurde Automatisierung von der Pandemie zwar nicht angestoßen, aber doch verstärkt. Das ist eine Entwicklung, die wir auch in Deutschland gut kennen und auf die die Unternehmen reagieren müssen.
Eine ganz neue Bedeutung erhält Automatisierung nun als Schutzmaßnahme für die eigenen Mitarbeiter. Je weniger Menschen in der Fertigung anwesend sind, umso niedriger ist das Infektionsrisiko und damit die Gefahr, dass es zu Produktionsverzögerungen oder Stillständen kommt. Darüber hinaus bietet die Automatisierung von einzelnen oder verketteten Arbeitsschritten die Möglichkeit, Mitarbeiter zu entlasten und für andere wertschöpfende Tätigkeiten verfügbar zu machen.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Ihren Arbeitsalltag?
Natürlich ist auch meine tägliche Arbeit davon betroffen. Vor Corona war die Kommunikation mit Kunden sehr stark von persönlichen Gesprächen vor Ort geprägt. Das hat sich nun zu guten Teilen auf einen digitalen Austausch verlagert. Einerseits fallen dadurch einige Reisezeiten weg, was unter ökologischen Aspekten gesehen eine positive Auswirkung ist. Andererseits beeinflusst die digitale Kommunikation natürlich auch die Art und Weise, wie wir die Beratungstätigkeit und auch den Vertrieb gestalten. Eine Herausforderung für beide Seiten, die banaler klingt als sie ist.
Welche Rahmenbedingungen haben sich für Ihre Kunden und für Sie durch die digitale Kommunikation verändert?
Sowohl für die Kunden als auch für uns als Berater bringt die Umstellung zwangsläufig neue Rahmenbedingungen mit sich. Unsere Kunden sind froh, dass es diese digitalen Möglichkeiten gibt und sie trotz Corona nicht auf unser Beratungsangebot verzichten müssen. Zu Beginn der Reisebeschränkungen habe ich manche Kunden in Nordamerika erlebt, die den Umgang mit Video-Konferenz-Tools erst noch erlernen mussten. Aber das ging dann in steiler Lernkurve nach oben.
Aus Kundenperspektive betrachtet liegt in der Kommunikation, ob analog oder digital, die Bringschuld zunächst immer beim Berater. Er muss das Vertrauen des Kunden für sich gewinnen. Das stellt eine Herausforderung dar, wenn man nicht vor Ort sein kann und sich nicht direkt von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Durch die Corona-Pandemie hat sich zwar verändert wie wir arbeiten, aber nicht was wir tun. Das ist ein wichtiger Unterschied, den ich mir immer wieder vor Augen führe. Unserem Kerngeschäft, und darin gründet sich das Vertrauen unserer Kunden, gehen wir weiterhin mit Elan nach.
Wie gelingt es Ihnen, im digitalen Vertrieb erfolgreich zu sein?
Mein Erfolgstipp für den digitalen Vertrieb: Zuhören. Das ist für mich in dieser Krise ein Schlüssel zum Erfolg. Wir bringen unseren Kunden maßgeschneiderte Lösungen – das geht nur, wenn man sich kennt. Fällt die Ebene der „face-to-face“-Kommunikation weg, greifen wir eben auf digitale Möglichkeiten zurück. Die Basis all dessen ist das Zuhören. Das geht auch digital. Viele Unternehmer haben eine Vision. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die richtige Technik und Methodik an die Hand zu geben, um Ihr Unternehmen dort hin zu bringen, wo es sein soll. Das hat sich auch durch Corona nicht verändert.
Was bleibt Ihnen im Rückblick auf die Entwicklung der Möbelindustrie im Jahr 2020 besonders in Erinnerung?
Ein Erlebnis, das mich in den USA besonders überrascht hat, waren die Auswirkungen der finanziellen Direkt-Hilfen, die die Trump-Administration veranlasst hat. Im April 2020 hatte Donald Trump als Finanzhilfe gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise allen Steuerzahlern mit einem Jahres-Einkommen von bis zu 75.000 US-Dollar einen Scheck in Höhe von 1200 Dollar zukommen lassen. Dieser Betrag war teilweise höher als der Lohn einiger US-Bürger. Das Ergebnis? Manche Mitarbeiter bevorzugten es, Zuhause zu bleiben. Die Folge war, dass einige Arbeitgeber, darunter auch einer unserer Kunden, seine Mitarbeiter mit Gehaltserhöhungen locken musste, damit sie wieder zur Arbeit erschienen.
Ein anderes Beispiel, an das ich mich gerne erinnere, ist die Geschichte des Möbelherstellers Gator Millworks. Zwei Mal hat unser Kunde schon bewiesen, dass er „krisensicher“ ist: 2016 hat eine Flut seine Produktionshalle in Louisiana vollkommen zerstört. Innerhalb von nur neun Tagen hat das Team wieder die Produktion aufgenommen – teils von Hand. 2020 während der Corona-Krise hat das Unternehmen von heute auf morgen begonnen, neben dem Regelbetrieb Gesichts-Schutzschilde zu produzieren, um den Gesundheitssektor zu unterstützen. Über diese beeindruckende Begegnung habe ich auch einen Online-Artikel geschrieben, da mich die aktive Reaktion des Unternehmens auf diese verschiedenen, existenziellen Krisen beeindruckt hat. Ein Beispiel für den sogenannten „american way“.
Wie gehen Sie ins Jahr 2021?
Derzeit erleben wir, dass sich die Produktionen wieder stabilisieren. Das ist ein gutes Zeichen, das ich mit ins neue Jahr nehme. Trotz aller Turbulenzen spiegeln uns unsere Kunden Optimismus. Sicherlich wird es einige Zeit dauern, bis die Wirtschaft wieder auf „Vorkrisenniveau“ ist. Und auch 2021 wird Corona noch Thema sein. Dank digitaler Kommunikationsmöglichkeiten können wir unser Beratungsangebot weiterhin anbieten, ohne dabei unsere Kunden und Mitarbeiter zu gefährden. Das wollen wir auch im Jahr 2021 so fortführen. Ich persönlich wünsche mir, dass die direkte Begegnungsebene bald wieder stattfinden kann.